Tourismus in Spanien – Sorge um die Costa de la Luz
Die Atlantikküste der andalusischen Provinz Cádiz besticht mit langen, weißen, zum Teil noch unberührten Sandstränden. Hotelburgen und Bausünden wurden an der „Costa de la Luz“ relativ wenig begangen – vor allem im Vergleich zu anderen Teilen Spaniens. Doch kleine Küstenorte wie El Palmar oder Los Caños de Meca werden als Urlaubs- und Partyorte immer beliebter, ziehen Investoren aus Madrid und Sevilla an. Die lokale Politik hat großes Interesse, den Tourismus in der strukturschwachen Gegend weiter auszubauen. Einigen Anwohnerinnen und Anwohner passt das gar nicht. Umweltschützer:innen sorgen sich um ökologische Probleme, die der Tourismus mit sich bringt. Aktuell stößt ein geplantes Bauprojekt in einem alten Leuchtturm auf besonders großen Widerstand.
Deutschlandfunk Kultur
21.03.2024
Quelle: Anika Reker®
Majestätisch thront er auf dem Kap Trafalgar: ein strahlend weißer Leuchtturm, über 30 Meter hoch. Der Atlantik, der die Landspitze umgibt, ist heute ruhig und karibisch blau. Doch vor über 200 Jahren trug sich in diesen Gewässern eine der bedeutungsvollsten Seeschlachten der Geschichte zu: Die Briten besiegten hier die Flotte Napoleons und beherrschten ab dann für 100 Jahren die Weltmeere.
Heute erinnert am Kap Trafalgar wenig an seine historische Bedeutung. Das soll sich ändern: Es gibt Pläne, im alten Gebäude des Leuchtturmwärters ein Museum zu errichten und auch ein Restaurant mit Bar. Über Letzteres ist die Umweltschützerin Lola Yllescas empört, nicht nur, weil sich der Leuchtturm in einer empfindlichen Dünenlandschaft befindet, einem erklärten Natur- und Vogelschutzgebiet:
„Das Kap Trafalgar ist Namensgeber des wichtigsten Platzes in London und wir wollen es in eine Cocktailbar verwandeln? Das ist in kultureller, historischer und ökologischer Hinsicht absolut unsensibel. Als ob es hier in der Gegend nicht schon genügend Bars und Restaurants dieser Art gibt.“
Lola Yllescas ist „die“ Veteranin der Umweltschutzbewegung in der Region Cádiz. Schon in den 80er Jahren kämpfte sie gegen große Bauprojekte, heute engagiert sie sich bei der spanienweiten Umweltschutzorganisation „Ecologistas en Acción“, leitet eine Gruppe hier vor Ort. Trotz der bereits frühsommerlichen Temperaturen hat sich die zierliche 77-Jährige in eine dicke, schwarze Daunenjacke eingemummt.
Wir haben uns vor einer der besagten Strandbars im Urlaubsörtchen Los Caños de Meca verabredet, etwa einen halben Kilometer vom Leuchtturm entfernt. Die Hauptsaison beginnt erst in ein paar Monaten, viele Lokale sind noch geschlossen, doch in der letzten Bar des Strandabschnittes herrscht schon lebhafter Betrieb.

Von hier aus führt eine schmale Straße bis hoch zum Turm und teilt die Sanddünen. Ein großer Teil des Asphaltes ist mit Sand bedeckt, den ein starker Sturm vor einigen Tagen verweht hat. Ein Zeichen dafür, dass die Dünen versuchen, sich ihren Raum zurückzuerobern, findet Yllescas.

„Das Unternehmen, dass das Restaurant im Leuchtturm betreiben will, hat den Zuschlag unter anderem bekommen, weil es verspricht, die Straße sauber zu halten. Sauber halten bedeutet in diesem Zusammenhang: ich verpflichte mich, das Dünensystem weiter zu zerstören.“
Während wir gen Leuchtturm spazieren erklärt Yllescas die Bedeutung dieses empfindlichen Ökosystems:
„Das gesamte Kap Trafalgar steht wegen seiner besonderen Flora und Fauna unter Naturschutz. Man sieht, dass die Dünen in einem sehr guten Zustand sind: Die Dünenvegetation ist intakt. Es gibt in dieser Gegend viele Dünen, die keine Dünenvegetation mehr haben, weil wir sie zerstört haben. Diese hier ist sind besonders gut erhalten. Hier nistet zum Beispiel auch der Seeregenpfeifer, eine geschützte Art. Außerdem sieht man hier viele Küsten- und Meeresvögel. Aber all das ist ihnen ja nicht wichtig: Es ist ihnen wichtiger, Drinks auszuschenken, Lärm und Theater zu machen, Musik und Beleuchtung bis morgens um 2 Uhr.“
Mit „ihnen“ meint die Umweltschützerin das Unternehmen Pentágono Colón SL, das in Sevilla mehrere Bars, Nachtclubs und Restaurants betreibt. Die zwei Brüder dahinter werden von der lokalen Presse auch als die „Herren der Nacht“ betitelt. Die Hafenbehörde von Cádiz will ihnen für ihr Leuchtturm-Restaurant vorerst eine Konzession für 15 Jahre erteilen. Yllescas fürchtet, dass dieser Plan Realität wird, denn das Kap Trafalgar unterstehe zwar dem Küstenschutz, über den Leuchtturm und eine mögliche Umnutzung entscheidet jedoch die Hafenbehörde der Provinz.

Neue Gebäude oder gar einen Parkplatz dürfen im Naturschutzgebiet nicht gebaut werde. Daher sehen die aktuellen Pläne vor, dass Restaurant-Gäste, die den einen Kilometer vom nächsten Parkplatz nicht zu Fuß zurücklegen können oder wollen, ein Shuttle mit Elektroautos zur Verfügung steht. Yllescas hält das für Greenwashing:

„Da glauben die doch selbst nicht dran: Das machen die vielleicht drei Tage aber ich glaube nicht, dass Mitarbeiter, Kellner  und Köche hier per Elektroauto anreisen, genauso wenig wie die Bierlieferanten. Die wollen uns doch für dumm verkaufen!“
Die größte Sorge bereitet der Umweltschützerin jedoch eine andere Frage:
„Was passiert mit dem Abwasser? Bauen sie etwa eine Klärgrube hier auf dem Kap? Oder eine Leitung bis hier hoch? Wo soll die hinführen? In diesem Örtchen gibt es kein Klärwerk. Das haben sie hier nicht. Also werden sie die Abwässer ins Meer leiten, oder etwa nicht?“
Ein mehrseitiges Konzept verschafft einen guten Eindruck davon, wie Restaurant und Museum in Zukunft aussehen könnten. Auf das Thema Abwasser wird darin allerdings nicht eingegangen. Die Hafenbehörde von Cádiz ließ Anfragen dazu unbeantwortet, ein Interview mit der Präsidentin wurde aus Zeitgründen abgelehnt.
Auch im Rathaus der Gemeinde Barbate, zu der Los Caños de Meca mit seinem historischen Kap Trafalgar gehört, weicht man der Abwasser-Frage aus. Bürgermeister Miguel Molina betont lieber die Vorteile des Projektes:
„Das Restaurant wird Arbeitsplätze schaffen und den Tourismus hier weiter fördern. Der Leuchtturm wird zu einer Touristenattraktion werden für Menschen aus der ganzen Welt. Momentan ist er geschlossen, man kann das Gebäude nicht betreten. Künftig wird man das können, etwas über die Geschichte lernen und danach etwas trinken. Denn vom Kap aus sieht man die schönsten Sonnenuntergänge überhaupt. Dazu dann gute Gastronomie und gute Musik, kleine Live Konzerte. Ich glaube, das wird die Gegend insgesamt sehr aufwerten.“
Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die 23.000 Einwohner Gemeinde, die zuletzt einen Rekord mit über 230.000 Übernachtungen verzeichnete. Zu seinem Amtsantritt 2015 hätte die Arbeitslosigkeit noch bei über 50 Prozent gelegen, mittlerweile sei die Quote auf 29 Prozent gerutscht. Immer noch hoch, aber ein großer Fortschritt, sagt Molina stolz und blickt dabei mit freundlichen Augen durch runde Brillengläser:
„Das kommt, weil wir Barbate in eine touristisch Gemeinde verwandelt haben, es gibt viel Gastronomie. Wir kreieren hier eine beständigere Wirtschaft, in der die Arbeitslosigkeit sinkt. Ich als Bürgermeister wünsche mir, dass noch mehr Deutsche und Engländer kommen und die Schönheit kennen lernen, die wir hier zu bieten haben.“
Einige Anwohnerinnen und Anwohner sehen das allerdings ganz anders. Um gegen die Pläne vorzugehen, haben sich einige in der Initiative „El Faro no se vende“ zusammengeschlossen: „Der Leuchtturm ist nicht zu verkaufen“. Ein Verkauf des Turms steht zwar nicht zur Debatte, jedoch die Nutzung ihres lokalen Wahrzeichens für kommerzielle Zwecke. Als die Pläne Ende letzten Jahres bekannt wurden, organisierte die Initiative eine Demo mit über hundert Teilnehmenden. Inzwischen haben fast 10.000 Menschen eine Petition dagegen unterschrieben. 
Heute haben sich einig Mitglieder der Initiative im Bürgerzentrum im Nachbarort El Palmar verabredet: Plakaten malen steht auf dem Programm: „Die Schlacht um Trafalgar ist jetzt“ oder „Ohne Wasser kein Leben“ sind einige der Botschaften, die hier eifrig in bunten Farben auf Papier und Banner gepinselt werden. Die Schilder will man für künftige Demos nutzen, andere an den Stränden aufstellen und so Touristen dazu anhalten, keinen Müll liegen zu lassen, die empfindliche Dünenvegetation nicht zu zertrampeln und Wasser zu sparen – denn das ist hier Mangelware, Häuser und Läden sind nicht ans Stadtwasser angeschlossen und werden zum Beispiel per Wassertruck beliefert oder über zum Teil illegale Brunnen versorgt, die das wenige Grundwasser anzapfen.
Im Gespräch mit den Anwohnenden wird klar, dass es hier längst nicht um ein einzelnes Restaurant in einem Leuchtturm geht:
„Wir sind komplett gegen den Tourismus, vor allem gegen den Massentourismus. Es gibt hier einfach kein Wasser! Deshalb sind wir mit der Formel: Mehr Bars, mehr Fortschritt auch überhaupt nicht einverstanden. Das ist eine Lüge. Es bedeutet einfach nur mehr Verschmutzung. “
sagt Fran Herreda. Ursprünglich kommt er aus der Stadt Jerez, vor siebzehn Jahren zog es ihn an die Küste. Vor allem in den letzten Jahren habe er beobachtet, dass immer mehr Lokale eröffneten und immer mehr Leute kämen, um zu feiern.
Anwohnerin Dori Arenas stimmt ihm zu:

„Im Sommer verwandelt sich das alles hier in eine Kirmes. Es tut wirklich weh. Eine Kirmes von achtlosen Menschen, die sich nur betrinken wollen, alles am Strand zurücklassen. Sie kommen, weil das hier ein naturbelassenes Paradies ist, aber sie zerstören es. Hier kommen ökonomische Interessen zuerst, nicht der Ort. Und jetzt wollen sie noch was Privatisieren. Alles wird privatisiert. Und für wen: für eine Minderheit, der sowieso alles egal ist.“
Das Argument, dass Tourismus auch Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Gegend schafft, will sie nicht gelten lassen:
„Hier haben so viele Läden eröffnet mit dem Vorwand, dass sie Arbeit schaffen werden. Und was haben sie den Menschen hier gebracht: Stellen als Putzkräfte und Nachtwachen! Das ist alles heiße Luft, das schafft keine Arbeit. Leute von außerhalb arbeiten hier.“
Unterstützung bekommt die Initiative „El Faro no se vende“ von der Abgeordneten Esther Reboleño. Sie sitzt für die Region Cádiz im spanischen Parlament und gehört dem Linksbündnis Sumar an. Reboleño fordert die Hafenbehörde auf, die Genehmigung für die Umnutzung des Leuchtturms nicht zu erteilen. Außerdem stellte sie eine Anfrage an die Regierung und sorgte so dafür, dass sich aktuell der Tourismusausschuss in Madrid mit dem Leuchtturm im fernen Andalusien befasst.

Auf dem großen Platz vor dem Rathaus von Cádiz nippt Reboleño etwas hektisch an einer Tasse mit schwarzem Kaffee. In wenigen Stunden geht ihr Zug zurück in die Hauptstadt. Sie war nur übers Wochenende in ihrem Wahlkreis, unter anderem, um dem Leuchtturm am Kap Trafalgar zu besuchen:

„Für uns ist das, was sie da vorhaben, ein Verbrechen, denn es handelt sich hier um einen der wenigen Naturparks der Provinz, die noch komplett unberührt sind. Wir werden von einem massivem Tourismus überrollt, der nicht nachhaltig ist und uns dazu bringt, ein natürliches Paradies zu zerstören, wie das Kap Trafalgar mit seinem Leuchtturm.“
Reboleño weiß, warum der Tourismus Gemeinden wie Barbate so attraktiv scheint. Cádiz zählt zu den Ärmsten Provinzen in ganz Spanien. Das jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt unter 11.000 Euro, die Arbeitslosigkeit aktuell bei knapp 24 Prozent. Im Sommer, also in der Hauptsaison, sinkt die Quote stets, doch das sei Teil des Problems, findet die Abgeordnete:
„Cádiz ist offensichtlich eine sehr vergessene Provinz. Es muss mehr ins Bildungssystem investiert werden, damit junge Menschen hier eine Zukunft haben. Stattdessen setzen wir hier nur auf einen einzigen Wirtschaftszweig, der saisonabhängig ist: Der Tourismus. Es liegt auf der Hand, dass das sozioökonomische Modell sich ändern muss. Aber das lösen wir nicht, indem wir eine Cocktailbar am Fuße eines Wahrzeichens eröffnen.“
Barbates Bürgermeister Molina sieht das anders: Vom Tourismus erhofft er sich nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch eine Verbesserung der Infrastruktur seiner Gemeinde. Eines der Projekte, dass er aktuell vorantreibt, ist ein größerer Gebäude-Komplex am Rande des Naturparks La Breña, zu dem auch das Kap Trafalgar gehört. Hotels mit 1.000 Betten sollen hier entstehen. Dazu 250 Wohnungen, von denen zwei Drittel einen touristischen Nutzen haben sollen.
„Ja, ich priorisiere den Tourismus vor dem Wohnungsbau. Denn touristische Unterkünfte schaffen Arbeitsplätze und Wohlstand, der es uns erlaubt, in Fortschritt und Infrastruktur zu investieren. Das Geld, was wir mit diesem Projekt einnehmen werden, wollen wir in die Entwicklung der gesamten Gegend investieren.“
Unter anderem will Molina eine Kläranlage finanzieren. Wann es soweit sein könnte, ist unklar, denn für den Bau der touristischen Wohnsiedlung stehen noch Genehmigungen aus. Bei vielen Anwohnenden stößt auch dieses Projekt nicht auf Begeisterung, auch nicht bei Umweltschützerin Yllescas:
„Der Ort für diese Siedlung ist absolut ungeeigneten. In Caños de Meca müssten erstmal geregelte Verhältnisse geschaffen werde: es gibt viele illegale Häuser mit schlechter sanitärer Versorgung und Entsorgung, das Wasser hier wird nicht gereinigt, viele Häuser haben einfach  ungenehmigte Klärgruben. Doch statt die Probleme der Menschen, die hier leben, zu lösen, vergrößert die Politik diese nur, indem sie noch mehr baut.“
Der Gegenwind, der ihm aus Teilen der Bevölkerung entgegenschlägt, bringt Bügermeister Molina zur Verzweiflung:
„Wenn die mir bei allem immer sagen, dass es die Umwelt gefährdet, werden wir in diesem Leben keine Kläranlage mehr bekommen! Wenn es keine schützenswerte Blume gibt, taucht plötzlich ein Chamäleon auf oder sonst irgendetwas, das gefährdet ist. In dieser Gemeinde kann man praktisch nichts umsetzen! Und von mir wird verlangt, dass ich alles verbessere: Ohne Geld, ohne Mittel, ohne gar nicht. Mensch, lasst mich doch ein paar wenige Projekte angehen. Barbate kann sich baulich gar nicht so verändern, wie es in anderen Gemeinden an der Küste Andalusiens möglich ist.“
Denn über 80 Prozent der 140 Quadratkilometer großen Gemeinde sind entweder vom Naturpark oder militärischen Gebieten bedeckt. Das sei auch gut so, sagt Molina. Doch auf den wenigen Flächen, die für touristische Zwecke genutzt werden können, wolle er eben auch das volle Potential ausschöpfen.
Die linke Abgeordnete Esther Reboleño ist skeptisch. Sie glaubt, dass Politik und Wirtschaft immer Lücken finden werden, um auch in geschützten Gebieten zu bauen. Deshalb sei es so wichtig, jetzt ein Zeichen zu setzen und Projekte wie das Restaurant mitten auf dem Kap Trafalgar zu verhindern:
„Wenn wir es nicht schaffen, den Leuchtturm zu verteidigen, kommen mit Sicherheit große Unternehmer und bauen die Küste mit Resorts voll. Das ist dann der Anfang vom Ende. Es gibt andere Küsten Spaniens, wie die von Málaga oder Huelva, die durch den Tourismus komplett zerstört wurden. Uns haben bisher die starken Winde hier davor bewahrt, vor allem der Levante. Aber ich fürchte, dass nicht mal der uns noch retten wird.“
Auch Lola Yllescas wünscht sich ein Umdenken und das in einen anderen, nachhaltigeren Tourismus investiert wird, der nicht auf die Massen abzielt, sondern auf Qualität. Mehr Wanderwege, statt Strandbars und Beton ist ihre Formel:
„In Zeiten von Dürre und des Klimawandel ist das Modell des touristischen Wachstums, das ständig neue Gebiete, sogar Strände und Schutzgebiete, erschließt, ein absolut Selbstmörderisches. Es ist so absurd: Wir sagen der halben Weltbevölkerung weiter: kommt nach Spanien, kommen doch zu uns. Doch es wird der Moment kommen, in dem wir keine Ressourcen mehr haben und uns zum Beispiel das Wasser ausgeht.“

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